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MDK-Reformgesetz: Stärkere Orientierung an der Versorgungsrealität bei ethisch-kritischen Fällen – 04. Juni 2019

Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband e. V. (DEKV) weist seit Jahren auf die zunehmende Prüfpraxis und die steigenden Prüfquoten in den evangelischen Krankenhäusern hin. Diese variieren je nach Fachabteilung erheblich.

Für die evangelischen Krankenhäuser bewegen sich die jährlichen monetären Einbußen durch die MDK-Prüfungen zwischen 200 und 300 Millionen Euro. Das sind zwei bis drei Prozent des Branchenumsatzes evangelischer Krankenhäuser. Dabei variiert der Anteil je nach Fachabteilung und Kostenträger.

Der DEKV geht nicht davon aus, dass Krankenhäuser bewusst falsch abrechnen. Grundlage für die Abrechnung sind die Kodierungen von Diagnose- und Prozeduren-Schlüsseln auf Basis der Deutschen Kodierrichtlinien. Dabei lassen aktuell die Richtlinien durchaus Interpretationsspielraum. Auch Gerichtsurteile zeigen, dass es bei der Abrechnung von Krankenhausleistungen unterschiedliche Auffassungen geben kann. Die Beurteilung richtige oder falsche Abrechnung kann daher nicht immer eindeutig und trennscharf erfolgen. Bei den Prüfgegenständen handelt es sich zu 60 bis 70 Prozent um Fragen nach primärer und sekundärer Fehlbelegung, bei der die sogenannte Verweildauer des Patienten im Krankenhaus im Fokus steht. Fragen nach der Richtigkeit der dokumentierten Hauptdiagnose, von Prozeduren und auch von Nebendiagnosen sind weitere Gegenstände. Bei einer Vielzahl der Prüfungen stehen formale Aspekte im Mittelpunkt. So kann beispielsweise ein fehlendes Handzeichen zur vollständigen Kürzung einer Komplexbehandlung aus einer DRG führen. Zusammenfassend entsteht der Eindruck, dass die Prüfungen durch den MDK darauf abzielen, für die Krankenkassen Einsparungen im stationären Bereich zu ermöglichen.

Dass nun grundsätzliche Änderungen beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) von der Bundesregierung umfassend angegangen werden, begrüßen wir außerordentlich.

Die Regelungen im Einzelnen

Positiv ist zu bewerten, dass der MDK künftig zu einer unabhängigen Institution entwickelt wird und damit gestärkt werden soll. Die organisatorischen Strukturen und deren Finanzierung neu auszurichten, ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Die organisatorische und finanzielle Lösung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse vom GKV-Spitzenverband ist dabei ein wichtiger und richtiger Schritt, um der politisch gewollten Unabhängigkeit des MDK Nachdruck zu verleihen. Mit dieser Regelung wird ein deutlicher Gewinn für eine konsequente patientenzentrierte Krankenhausversorgung einhergehen. Weiter unterstützen die evangelischen Krankenhäuser das Verrechnungsverbot für die Krankenkassen uneingeschränkt. Damit ist sichergestellt, dass Versichertengelder der unmittelbaren Patientenversorgung zugutekommen.

Nachbesserungen erwarten wir zu folgenden Punkten:

1. Leistungserbringer Krankenhaus muss eigene Stimme in den Organisationstrukturen des MD Bund und der MD erhalten

Die Zielsetzung der Überführung des MDK in eine unabhängige Organisation unterstützen wir uneingeschränkt. Hinweisen möchten wir darauf, dass es sachgerecht und angemessen wäre, wenn neben den Krankenkassen, Patientenorganisationen, der Ärzteschaft und Pflege die Leistungserbringer respektive Krankenhäuser mit einer Stimme im Verwaltungsrat vertreten wären. Damit würde sichergestellt, dass „alle wesentlichen Gruppen, die von der Tätigkeit des MD betroffen sind“ dem Verwaltungsrat angehören (Gesetzesbegründung S. 61).

2. Statt Bürokratie zurück zum Menschen: Ethisch-kritische MDK Fälle fokussieren

Aktuell wird wertvolle Zeit, die für die Betreuung und Zuwendung zu den Patienten benötigt wird, der Überprüfung ethisch-kritischer Fälle durch den MDK geopfert. Diese besonders schutzbedürftigen Patienten sind den evangelischen Krankenhäusern ein besonderes Anliegen. Ethisch-kritische Fälle sind beispielsweise multimorbide, ältere und kognitiv eingeschränkte Patienten, die eine stationäre Betreuungsnotwendigkeit haben, da nachgelagerte Sektoren nicht über freie Kapazität verfügen. Eine Entlassung in die eigene Häuslichkeit ist nicht möglich. Daher kommt es bei diesen Patienten häufig zu einer längeren Verweildauer.

Die Versorgungsrealität ist vielfach von fehlenden Angeboten im ambulanten Bereich oder einer erschwerten Sektor-übergreifenden Zusammenarbeit geprägt. Dadurch wird eine zeitnahe und dem vulnerablen Patienten angepasste Versorgung erschwert oder unmöglich. Soll beispielsweise ein alter multimorbider Patient nach einer Krankenhausbehandlung in ein Hospiz verlegt werden, ist eine Unterbringung in einer Kurzzeitpflege zur Überbrückung der Zeit zwischen der Krankenhausbehandlung und der Verlegung in das Hospiz oftmals nicht möglich oder aus medizinischen Gründen nicht gerechtfertigt. Krankenhäusern in einem solchen Fall eine „nichtwirtschaftliche Fallführung“ anzulasten, ist nicht korrekt. Krankenhäuser handeln hier ethisch verantwortlich und fangen ein strukturelles Defizit auf. Zugleich sehen sie sich dem Risiko gegenüber, die entstehenden Kosten nicht vergütet zu bekommen. Die klinisch-ethische Kompetenz, über solche Fälle bürokratiearm und zeitnah zu entscheiden, sehen wir sowohl bei den unabhängigen Ombudspersonen der Medizinischen Dienste wie auch bei dem neu einzurichtenden Schlichtungsausschuss. Wir fordern, dass verpflichtend eine klinische Ethikkompetenz bei solchen Entscheidungen regelhaft mit einbezogen wird.

3. Definition der korrekten Abrechnung notwendig und Verweildauerprüfung aus der Quote der korrekten Abrechnungen herauslösen

Der DEKV begrüßt ausdrücklich, dass die Prüfquoten gesenkt werden sollen. 2020 sind zunächst zehn Prozent festgelegt. Im Verlauf der kommenden Jahre soll die Prüfquote von dem Anteil der korrekten Abrechnungen abhängen. Diesen Vorschlag unterstützen wir. Allerdings bedarf es einer genauen Definition von „korrekte Abrechnung“. Im Referentenentwurf ist nicht konkret beschrieben, wie eine korrekte Abrechnung definiert ist. Die Beschreibung, dass eine Rechnung dann korrekt sei, wenn sich der Rechnungsbetrag nach der Prüfung nicht mindert, greift für den DEKV zu kurz und ist zu undifferenziert angesichts der Komplexität vieler Prüffälle.

Das zeigt auch die aktuell bestehende Abhängigkeit der Zahlungspflicht der Aufwandspauschale von dieser Definition. Die aktuell unscharfe Definition führte zu zahlreichen BSG-Urteilen, um jede Konstellation des Prüfergebnisses separat zu interpretieren. Damit geht ein hoher Aufwand für die Krankenhäuser und die Sozialgerichtsbarkeit einher. Da der Anteil der korrekten Abrechnungen ab 2021 über die Prüfquote entscheidet, sind hier ohne eine konkrete Definition einer korrekten Abrechnung Konflikte vorprogrammiert.

Im Gegensatz zur Kodierprüfung ist die Prüfung der Verweildauer höchst streitbehaftet und unterschiedlich interpretierbar. Statistisch ist es so, dass die Verweildauerprüfung mit einem Anteil zwischen 60 und 70 Prozent die größte Rolle spielt. Eine Rechnung als „falsch“ zu bezeichnen, wenn ein Patient zwei Nächte statt einer Nacht im Krankenhaus bleibt, hält der DEKV für nicht sachgerecht. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Patient mit einem komplizierten Behandlungsverlauf einen Tag seines 30-Tage-Aufenthalts angeblich zu lange im Krankenhaus lag.

Daher wäre es wichtig, die Verweildauerprüfung bei der Berechnung der Quote der korrekten Abrechnungen nicht miteinzubeziehen.

4. Erweiterung AOP-Katalog – Kriterien-Entwicklung für stationäre Behandlung notwendig

Die Erweiterung des AOP-Katalogs ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115 b SGB V wird ausdrücklich begrüßt. Dieser wurde jahrelang nicht überarbeitet und es fehlen viele Leistungen, die Krankenhäuser aktuell erbringen. Das Ziel, ein Anreizsystem für ambulante Operationen/Eingriffe oder Behandlungen zu schaffen, ist für das Gesamtsystem förderlich.
Es kann aber nur dann gelingen, wenn die zu entwickelnden allgemeinen Tatbestände, bei deren Vorliegen eine stationäre Durchführung erforderlich ist, den Patienten ganzheitlich berücksichtigen. Die bislang herangezogenen sogenannten G-AEP-Kriterien[1] haben die Versorgungsrealität nicht hinreichend abgebildet. Multimorbide, ältere und vulnerable Patienten sind häufig trotz offensichtlicher stationärer Betreuungsnotwendigkeit wegen unzureichender G-AEP-Kriterien als ambulante Patienten eingestuft worden. Da zukünftig durch den nun eintretenden, vorhergesagten demographischen Effekt immer mehr ältere Patienten zu versorgen sind, ist die Berücksichtigung dieser Bedürftigkeit bei der Entwicklung der allgemeinen Tatbestände unbedingt einzufordern.

[1] German appropriate evaluation protocol = Grundlage für die Beurteilung der Notwendigkeit stationärer Behandlungen.