Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf Triage von Diakonie Deutschland, Deutschem Evangelischen Krankenhausverband und Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe: Menschen mit Behinderungen im Falle einer Pandemie-bedingten Triage nicht benachteiligen.
Mit einem Referentenentwurf vom 14. Juni 2022 will die Bundesregierung durch Ergänzung des Infektionsschutzgesetz (IfSG) einer möglichen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, chronischen Krankheiten und älteren Menschen vorbeugen, wenn während einer Pandemie knappe intensivmedizinische Ressourcen nur für einen Teil der Patient:innen zur Verfügung stehen und daher zugeteilt werden müssen. Sollte es zu einer solchen Triage-Situation kommen, stellt dies behandelnde Ärzt:innen vor eine extreme Herausforderung. Sie müssen dann über den Tod einer Person zugunsten der Behandlung einer anderen entscheiden.
Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist eine Klage von Menschen mit Behinderung aus dem Sommer 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht. Es gab den Kläger:innen recht. In dem Urteil vom 16. Dezember 2021 ist festgehalten, dass der Gesetzgeber keine ausreichenden Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen vor Ungleichbehandlung für den Triage-Fall getroffen hat. Daher wurde der Gesetzgeber aufgefordert, diese Benachteiligung unverzüglich zu beseitigen, um damit das Recht der Menschenwürde sowie das Recht auf Leben und Gesundheit auch für Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen zu sichern.
Die Diakonie, der Deutsche Evangelische Krankenhausverband und der Bundesverband evangelischer Behindertenhilfe haben dem Bundesministerium für Gesundheit am heutigen 22. Juli ihre gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf überreicht.
Festlegung klarer Entscheidungskriterien ist wichtig
Die Klarstellung und die Festlegung der Zuteilungskriterien im Falle einer Triage wird von den Verbänden positiv bewertet: Der Gesetzentwurf mache deutlich, dass eine Entscheidung nicht ausreichender intensivmedizinischer Ressourcen nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen
Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patient:innen vorgenommen werden darf. Die Gebrechlichkeit, das Alter, das Vorliegen einer Behinderung, die verbleibende Lebenserwartung und die vermeintliche Lebensqualität der Patient:innen dürfen für eine Beurteilung explizit nicht herangezogen werden.
Vulnerable Patient:innen besser schützen
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Ich begrüße, dass in dem Gesetzentwurf nun ein klares Entscheidungskriterium steht: Bei der Triage entscheidet nur die aktuelle kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit eines Menschen. Damit folgt der Entwurf allein der Maxime, bei knappen Ressourcen so viele Leben wie möglich zu retten. Trotzdem bleiben Fragen offen. So ist auch mit diesem Grundsatz nicht auszuschließen, dass Menschen mit Behinderungen zumindest indirekt benachteiligt werden. Auch dieser Vorschlag bleibt ein Notbehelf in einem ethischen Dilemma, in dem wir nur die Möglichkeit haben, uns für das am wenigsten schlechte Verfahren zu entscheiden.“
Multiprofessionelles Entscheidungsteam unter Einbeziehung der Pflege gefordert
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass im Falle einer Triage die Entscheidung nach dem Mehraugenprinzip durch zwei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrene Fachärzt:innen mit einer Zusatzweiterbildung im Fach Intensivmedizin erfolgt, die die Patient:innen unabhängig voneinander begutachtet haben. Sind Menschen mit Behinderung von der Triage-Entscheidung betroffen, so ist eine Person mit Fachexpertise zu dieser vulnerablen Patientengruppe hinzuzuziehen. Es kann beispielsweise die behandelnde Hausärztin oder der behandelnde Hausarzt sein. Dies reicht den diakonischen Verbänden aber nicht. Hier fordert Christoph Radbruch, Vorsitzender des DEKV: „Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass auch eine Vertreterin oder ein Vertreter der professionellen Pflege mitberatend in die Entscheidung einbezogen wird. Pflegekräfte kennen die Patientinnen und Patienten aus der täglichen Versorgung und haben einen anderen Blick auf deren individuelle Gesundheit und Bedürfnisse. Dadurch können Pflegende wichtige Informationen beisteuern, die die medizinische Sicht sinnvoll ergänzen und letztlich dazu beitragen, unbewusste Diskriminierungen zu vermeiden.“
Ein inklusives und diskriminierungsfreies Gesundheitssystem
ist nur mit ärztlicher Aus- und Weiterbildung zu erreichen
Der Gesetzentwurf beschreibt zudem, dass die ärztliche Ausbildung um Inhalte zu behinderungsspezifischen Besonderheiten ergänzt werden soll. Konkrete Vorgaben sind der Gesetzesbegründung jedoch nicht zu entnehmen. „Behinderungsspezifische Aspekte, die in ärztlichen Prüfungs- und Weiterbildungsordnungen zum Teil bereits verankert sind, müssen in der Ausbildungspraxis mehr Berücksichtigung finden. Das ist wichtig, damit Ärztinnen und Ärzte bei Triage-Entscheidungen, die Menschen mit Behinderung betreffen, dafür sensibilisiert sind, dass ein besonderer Blick von Nöten ist, um die unmittelbare Überlebenswahrscheinlichkeit richtig einzuschätzen. Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist eine solche Sensibilisierung nicht nur für die pandemiebedingte Triage unerlässlich, sondern insgesamt für ein inklusives Gesundheitssystem“, so Frank Stefan, Vorsitzender des BeB.