Für die Diakonie Deutschland und den Deutschen Evangelischen Krankenhausverband (DEKV) ist ein guter Start ins Leben sowie Gesundheit rund um die Geburt und in den ersten Lebensjahren ein zentraler Ausdruck des diakonischen Gedankens.
Im Jahr 2021 kamen in diakonischen Krankenhäusern rund 82.000 Kinder zur Welt. Das heißt mehr als jedes 10. Kind wurde in einem der 65 evangelischen Geburtskliniken geboren. Darüber hinaus zählen die evangelischen Krankenhäuser 32 Perinatal-Zentren. Mit 7 hebammengeleiteten Kreißsälen in evangelischer Verantwortung werden innovative Konzepte in der Geburtshilfe umgesetzt. Diese Krankenhäuser übernehmen auch die Verantwortung für die Ausbildung von Hebammen, bisher in der schulischen Ausbildung, zukünftig als verantwortliche Praxiseinrichtungen für Hebammenstudierende.1 Die Diakonie Deutschland ist mit rund 300 Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in ganz Deutschland vertreten, um den Rechtsanspruch der Bevölkerung auf Beratung in allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen gemäß § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes neben anderen Trägern umzusetzen. Hierzu zählen insbesondere Beratung und Informationen bei allgemeinen und rechtlichen Fragen hinsichtlich Schwangerschaft, Geburt und Familie sowie Fragen der zukünftigen Existenzsicherung mit dem erwarteten Kind, die eine günstige, sehr frühzeitige Kontaktaufnahme der Schwangeren zum Hilfesystem anbahnen. Zusammen mit dem Fachverband für Evangelische Frauengesundheit (EVA) setzt sich die Diakonie Deutschland zudem besonders für die Gesundheit von Müttern und Kindern ein. Ca. 44.500 Mütter und 61.000 Kinder haben 2022 an einer medizinische Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme in einer vom Deutschen Müttergenesungswerk anerkannten Klink teilgenommen, darunter auch schwangere Frauen und Mütter mit Kleinkindern.
Das deutsche Gesundheitssystem befindet sich vor grundlegenden Reformen. Unterschiedliche Regelungsvorhaben wurden auf den Weg gebracht oder stehen auf dem Arbeitsplan des BMG. Der Aktionsplan Gesundheit rund um die Geburt sollte in Hinblick auf die geplanten Reformen und Innovationen entworfen und umgesetzt werden, um Synergien effektiv zu nutzen. Neben dem Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen sind hier vor allem die Krankenhausreform und damit die Ausgestaltung der Leistungsgruppen zur Geburtshilfe, aber auch die zwei Versorgungsgesetze und die Reform des Medizinstudiums auf mögliche Verknüpfungen zu prüfen.
Der vorliegende Aktionsplan benennt viele wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit rund um die Geburt, die in den letzten Jahren bereits umgesetzt oder auf den Weg gebracht worden sind. Diakonie und DEKV begrüßen zudem, dass in dem Aktionsplan einleitend darauf hingewiesen wird, dass große soziale Ungleichheiten im Zugang zu Versorgungs- und Unterstützungsangeboten rund um die Geburt bestehen. Die im Aktionsplan bislang vorgeschlagenen Maßnahmen sollten intensiver darauf fokussieren die bestehenden Ungleichheiten zu reduzieren und die Versorgung insbesondere für schwangere Frauen mit Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen zu verbessern.
Diakonie und DEKV bitten um die wohlwollende Prüfung unserer Empfehlungen und wären dem BMG dankbar für eine Berücksichtigung der initiativ eingereichten Stellungnahme bei der weiteren Erarbeitung von Maßnahmen für einen Aktionsplan zum Nationalen Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“.
Handlungsfeld 1: Versorgungsstrukturen rund um die Geburt sicherstellen
Schwangerschaft ohne Krankenversicherungsschutz
Schwangere Frauen ohne Krankenversicherungsschutz haben derzeit keinen ausreichenden Zugang zu Schwangerschaftsvorsorge und sicheren Entbindungen. Diakonie und DEKV setzen sich dafür ein, dass kostenlose Angebote der Schwangerschaftsvorsorge beim Öffentlichen Gesundheitsdienst ausgebaut, Clearingstellen flächendeckend eingerichtet und in allen Bundesländern Entbindungsfonds zur Finanzierung von Entbindungen von Frauen ohne Krankenversicherungsschutz etabliert werden. Zudem ist die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte Einschränkung der Übermittlungspflichten nach § 87 Aufenthaltsgesetz zeitnah umzusetzen, um auch schwangeren Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität den Zugang zu Schwangerschaftsvorsorge und Entbindungen ohne Furcht vor Abschiebung zu ermöglichen.
Diversitätsorientierte und rassismussensible Versorgung
Wenn soziale Ungleichheiten im Zugang zur Versorgung vor, unter und nach der Geburt reduziert werden sollen, sind Maßnahmen zur Stärkung einer diversitätsorientierten und rassismussensiblen Versorgung in Schwangerschaft und Geburt unumgänglich. Dazu gehört zum Beispiel die Festschreibung des Themas in Lehrplänen von medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufen sowie die Verankerung des Anspruchs auf Sprachmittlung in der gesundheitlichen Versorgung. Zudem braucht es flächendeckende barrierefreie Angebote der Schwangerenvorsorge für Frauen mit Behinderungen. Die Expertise von Migrant:innenselbstorganisationen und von Fachverbänden für Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sollte für die weitere Erarbeitung des Aktionsplans dringend einbezogen werden, Synergien mit dem Aktionsplan barrierefreies und inklusives Gesundheitssystem sollten angestrebt werden.
Eins-zu-Eins-Betreuung und Senkung der Interventionsraten
Eine Verbesserung der Betreuungsrate in wesentlichen Phasen der Geburt erhöht die Attraktivität des Berufs der Hebamme im Kreißsaal. Es ist erwiesen, dass ein besserer Betreuungsschlüssel unter der Geburt die Interventionsrate senkt. Eine normative Vorgabe für eine Eins-zu-Eins-Betreuung wird daher vielfach gefordert. Der Aktionsplan sieht hier aber zu Recht nur eine sehr vage Prüfung nach Vorlage des Abschlussberichts des Hebammenstellenförderprogramms von 2022 vor. Neben dem Hebammenstellenförderprogramm werden ab 2025 die Hebammenstellen vollständig über das Pflegebudget refinanziert. Die Erreichung besserer Betreuungsschlüssel ist daher nicht durch ökonomische Faktoren beeinflusst. Vielmehr wird dies durch den Hebammenmangel begründet. Wie in der Pflege auch, bedarf es hier intensiver, gesamtgesellschaftlicher und konzertierter Maßnahmen, um die Zahl von berufstätigen Hebammen zu erhöhen: sei es durch Rückkehr in den Beruf, Aufstockung von Teilzeit oder durch die Stärkung der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Förderung von Maßnahmen zur Vereinbarung von Beruf und Familie, eine Erhöhung der Anzahl von Studienplätzen, ein Förderprogramm zur Qualifizierung von Praxisanleiterinnen, schlankere und vereinheitlichte Verfahren zur Anerkennung von Hebammen aus dem Ausland.
Handlungsfeld 2: Interprofessionelle und intersektorale Zusammenarbeit rund um die Geburt stärken
Interprofessionelle Zusammenarbeit
Diakonie und DEKV unterstützen ausdrücklich alle Maßnahmen, die eine interprofessionelle Zusammenarbeit in der Betreuung von Frauen vor, unter und nach der Geburt stärken. Hierbei müssen auch Schwangerschaftsberatungsstellen einbezogen werden, die mit niedrigschwelliger Erreichbarkeit einen frühen Zugang zum Hilfesystem rund um die Geburt sicherstellen. Die Verbände weisen darauf hin, dass dies zum einen zeitliche und finanzielle Ressourcen für Fallkonferenzen, Weiterleitung und Netzwerkarbeit erfordert. Zum anderen bedarf es hierfür Strukturen, die eine Zusammenarbeit erleichtern, wie Primärversorgungszentren und Level Ii-Kliniken mit multiprofessionellen Teams.
Zusatzentgelt für hebammengeleitete Kreißsäle
Im Koalitionsvertrag sieht die Bundesregierung eine Stärkung des Ausbaus von hebammengeleiteten Kreißsälen vor. Dies ist eine langjährige Forderung von Diakonie und DEKV. Hebammengeleitete Kreißsäle stehen für eine moderne, natürliche und sichere Geburtshilfe und bieten ein attraktives Tätigkeitsfeld für Hebammen. Auch wenn der Aufbau eines hebammengeleiteten Kreißsaals eine interprofessionelle Koordination und Absprache erfordert, sehen wir diese Versorgungsstruktur besser im Handlungsfeld 1 dieses Aktionsplans verankert. Es handelt sich um eine geburtshilfliche Struktur, die entsprechend gefördert, refinanziert und geplant werden sollte. Das Förderprogramm des Landes NRW zum Aufbau von hebammengeleiteten Kreißsälen läuft seit 2021 und wurde bis Ende 2024 verlängert. Anfang 2023 bestand in NRW an 27 der 132 Geburtskliniken eine solche Struktur. Der hebammengeleitete Kreißsaal ist als mögliche Strukturvorgabe der Leistungsgruppe „Geburtshilfe“ im Krankenhausplan 2022 zur Prüfung hinterlegt. Mit einem klaren Bekenntnis der Bundesregierung zum hebammengeleiteten Kreißsaal, einer Förderung der hebammengeleiteten Kreißsäle durch eine Pauschalförderung analog NRW und ein Zusatzentgelt auf jede Geburt, die dort stattfindet, könnte diese innovative geburtshilfliche Struktur bundesweit aufgebaut werden. Perspektivisch können hebammengeleitete Kreißsäle auch als Strukturvoraussetzung der bundesweiten Leistungsgruppe „Geburtshilfe“ in Betracht gezogen werden.
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen sind ein wichtiger Baustein in der Unterstützung von schwangeren Frauen und jungen Familien. Diakonie und DEKV setzen sich dafür ein, dass die Zugänge hierzu insbesondere für Familien in soziökonomisch belasteten Lebenslagen, mit Einwanderungs- oder Fluchtgeschichte sowie mit Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen erleichtert und gezielt verbessert werden.
Handlungsfeld 3: Qualität der Betreuung rund um die Geburt weiterentwickeln
Eine Senkung der Interventionsrate braucht konkrete Forschungsvorhaben
Diakonie und DEKV begrüßen das im Aktionsplan benannte Vorhaben, zu überprüfen, ob Fehlanreize oder andere Faktoren für die aktuell hohe Zahl an Kaiserschnitten verantwortlich sind. Hier fehlen bislang konkrete Maßnahmen wie ein Forschungsansatz, die Ausschreibung und der Finanzierungsplan eines entsprechenden Forschungsauftrages. Auch die Förderung hebammengeleiteter Kreißsäle und die ressourcenorientierte Aufklärung und Information im Vorfeld der Geburt sind bereits sinnvolle Maßnahmen des Aktionsplans zur Senkung der
Interventionsrate.
Bewältigung als traumatisierend erlebter Geburten
Nachgespräche zu komplexen Geburtsverläufen sind an vielen evangelischen Krankenhäusern ein regelhaftes Angebot, das von den Frauen sehr geschätzt wird. Bislang liegt jedoch keine ausreichende Evidenz für die gesundheitlichen und psychosozialen Effekte eines Nachgespräches vor. Die im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen einer Expertise und eines Reviews bezüglich Nachgesprächen nach der Geburt werden als erster wichtiger Schritt begrüßt. Hier sollten auch Angebote von interdisziplinär begleiteten Gesprächsgruppen für Eltern nach
Totgeburten mit einbezogen werden. Wünschenswert wäre zudem eine stärkere Förderung hebammenwissenschaftlicher und psychologischer Versorgungsforschung dazu in der Geburtshilfe.
Handlungsfeld 4: Information, Aufklärung und Gesundheitskompetenz rund um die Geburt verbessern
Informationsangebote der Bundesregierung
Die vorgesehenen Maßnahmen beinhalten eine Überprüfung, Aktualisierung und Ergänzung der Informationsangebote der Bundesregierung und die Absicht, sie barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Diakonie und DEKV begrüßen dies und sprechen sich dafür aus, dass die Informationsangebote darüber hinaus mehrsprachig, in einfacher und/oder leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden.
Informierte Entscheidung bezüglich pränataler Diagnostik
Die unzureichende psychosoziale und psychologisch-ethische Unterstützung von Frauen in schwangerschaftsbezogenen Krisensituationen wird deutlich am Nicht-invasiven Pränataltest auf Trisomie 13, 18, 21. Seit dem 1. Juli 2022 wird der nichtinvasive Pränataltest (NIPT) als gesetzliche Kassenleistung angeboten. Somit werden die Kosten für einen NIPT durch die gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen.
Auch wenn die Übernahme der Kosten auf bestimmte Szenarien beschränkt ist, scheint sich eine steigende Inanspruchnahme abzuzeichnen. In einem Projekt der Diakonie Deutschland zum „Umgang mit nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) als Kassenleistung und ihren individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen“ zeichnet sich ab, dass nur unzureichende Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen, um Schwangere bei einer informierten Entscheidungsfindung im Kontext pränataler Diagnostik zu begleiten. Dies beinhaltet auch das
Recht auf Nichtwissen und das Wissen über Unterstützungsmöglichkeiten und die Lebensführung für Familien mit Kindern mit Trisomie. Hierfür ist eine Weiterleitung von Gynäkolog:innen an Schwangerschaftsberatungsstellen und ein Hinweis auf deren Beratungsangebote schon frühzeitig in der Schwangerschaft unabdingbar. Wünschenswert wäre eine Begleitforschung und Evaluation der neuen Regelung hinsichtlich der Bedarfsgerechtigkeit der erhaltenen Information und Aufklärung.
Unterstützung von Eltern mit Kindern mit Behinderungen
Das oben genannte Projekt der Diakonie „Umgang mit nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) als Kassenleistung und ihren individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen“ hat zudem Hinweise darauf erbracht, dass Eltern mit Kindern mit Behinderungen nach der Geburt nicht regelhaft die Unterstützung erfahren, die sie benötigen. Wünschenswert ist hier eine verbesserte Einbindung der Betroffenenselbsthilfe und eine Verstetigung und einheitliche Qualitätssicherung von entsprechenden Lots:innendiensten, die an Geburtskliniken angebunden sein können.
Anhang
1siehe hier: https://dekv.de/wp-content/uploads/2022/01/22-01-06_DEKV_Landkarte-Geburtshilfe_.pdf