Hausindividuelle Konzepte können die Belastungen für Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende auffangen

Die aktuell steigenden Corona-Fallzahlen haben dazu geführt, dass in vielen Krankenhäusern wieder Besuchsverbote ausgesprochen werden. „Bei aller Notwendigkeit, die Mitarbeitenden und Patient:innen im Krankenhaus durch Besuchseinschränkungen vor dem Virus zu schützen, müssen die Auswirkungen von Besuchsverboten auf alle Betroffenen berücksichtigt werden. Die komplexe Abwägung der organisationsethischen Fragen ist Aufgabe der Krankenhausleitung. Es bedarf eines hausindividuellen Konzeptes, das zeitliche, materielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stellt, um die Folgen von Besuchsverboten aufzufangen“, fordert der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV), Christoph Radbruch.

Besuchsverbote schaden den Patient:innen und belasten die Angehörigen

Wissenschaftliche Studien belegen, dass fehlende Besuche von Angehörigen das Risiko für Depression, Angst, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Schlafstörungen und Stress erhöhen. Ebenso steigt das Risiko signifikant, aufgrund des Krankenhausaufenthaltes an Delir zu erkranken.1

Auch für die Mitarbeitenden auf den Stationen ist der Wechsel von einer patient:innenzentrierten Praxis hin zu einer Medizin, die aufgrund der Pandemie den Infektionsschutz in den Mittelpunkt rückt, belastend. Die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Patient:innen ist erschwert und die Unterstützung durch Angehörige bei der Kommunikation sowie durch Informationen über die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen ist eingeschränkt oder fehlt ganz. Der DEKV-Vorsitzende ergänzt: „Wenn die Entscheidung, ob ein Besuch stattfinden kann, durch Mitarbeitende vor Ort getroffen werden muss, führt dies oft zu moralischem Stress.“

Damit notwendige Besuchseinschränkungen Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende möglichst wenig belasten, sollten die Krankenhäuser aus Sicht des DEKV vier Punkte berücksichtigen:

1. Besuchskonzept mit Kriterien festlegen

Es ist die Aufgabe der Krankenhausleitung, die komplexe organisationsethische Abwägung zwischen Schutzmaßnahmen gegenüber Mitarbeitenden und Patient:innen und dem Angehörigenbesuch als Bestandteil der Behandlung vorzunehmen. Darüber hinaus muss ein Besuchskonzept erarbeitet werden, das Kriterien für Krisensituationen festlegt, an denen sich die Mitarbeitenden orientieren können.

2. Gemeinsam entscheiden

Entscheidungen über Besuche sollten möglichst von mehreren Mitarbeitenden gemeinsam getroffen werden, um die Einzelnen von moralischem Stress zu entlasten.

3. Psychosoziale Angebote regelhaft anbieten

Patient:innen, Angehörigen und Mitarbeitenden sollten psychosoziale Angebote gemacht werden, die die Belastungen durch Besuchsverbote verringern.

4. Transparente Kommunikation

Das allgemeine Besuchskonzept muss offen und transparent kommuniziert werden. Einzelentscheidungen über Besuche müssen gegenüber Patient:innen, Besucher:innen und Mitarbeitenden nachvollziehbar begründet werden.

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Quelle:
1 Rogge, A., Naeve-Nydahl, M., Nydahl, P. et al. Ethische Entscheidungsempfehlungen zu Besuchsregelungen im Krankenhaus während der COVID-19-Pandemie. Med Klin Intensivmed Notfmed 116, 415–420 (2021). https://doi.org/10.1007/s00063-021-00805-4