Diakonie Deutschland und Deutscher Evangelischer Krankenhausverband: „Die Vorschläge zur großen Krankenhausreform haben das Potential zur Evolution des DRG-Systems – aber ein Praxischeck zu den Auswirkungen für die Versorgung vor Ort muss verpflichtend sein.“
Heute wurde in Berlin die 3. Stellungnahme für eine übergreifende Krankenhausstrukturreform der Regierungskommission Krankenhausversorgung des Bundes vorgestellt. Die Vorschläge beinhalten im Kern eine Stufenreform der Krankenhäuser und die Neugestaltung ihrer Finanzierung. Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach will damit das DRG-System überwinden und die Medizin entökonomisieren. Auf Grund der Zuordnung der einzelnen Krankenhäuser zu Versorgungsstufen durch die Länder soll ein Vorhaltebudget von rund 35 Milliarden Euro jährlich durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) verteilt werden.
„Die evangelischen Krankenhäuser danken der Regierungskommission und dem Bundesgesundheitsminister für die vorgelegten Empfehlungen zur übergreifenden Krankenhausreform. Sie sind eine gute Grundlage für die Evolution des Gesundheitssystems. Bei der Umsetzung der Vorschläge ist aber ein Praxischeck der Auswirkungen auf die Versorgung vor Ort zwingend nötig. Ferner braucht es ausreichend Zeit für eine sorgfältige Prüfung der Versorgungs- und Finanzauswirkungen dieser neuen Finanzierungsmaßnahmen. Auch müssen wir uns die Zeit für eine eingehende gesellschaftspolitische Debatte mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen nehmen. Ihre heterogenen Perspektiven auf die stationäre Versorgung sind regelhaft zu hören. Der Bundesgesundheitsminister muss dafür Raum geben. Denn bei den krankenhausregulatorischen Maßnahmen liegt meist die Tücke im Detail. Mögliche Fehlanreize zeigen sich häufig erst zeitversetzt und Lücken in der Regelung treten erst bei der Praxisanwendung hervor“, sagt Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV).
So ist es bei der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus dem G-DRG-System geschehen: Aufgrund von Abgrenzungsproblemen können der GKV-Spitzenverband, der PKV-Verband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sich nicht auf Entgeltkataloge einigen. Per Rechtsverordnung muss das Bundesgesundheitsministerium schiedsrichten, weil die gesetzlichen Regelungen unscharf sind und sich teilweise widersprechen.
„Nur indem die Reformmaßnahmen einem multiperspektivischen sorgfältigen Check durchlaufen, können unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden. Daher fordert der DEKV eine regelhafte Beteiligung von Krankenhäusern, Krankenkassen, Pflege- und Gesundheitsfachberufen sowie der Länder im neu einzusetzenden Ausschuss zur Definition von Leistungsgruppen und Anforderungen. Auch wenn das Ziel der Reform ist, dass die Medizin im Krankenhaus nicht mehr der Ökonomie folgen muss, darf die gemeinwohldienliche Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser nicht aus dem Blick geraten“, fordert Christoph Radbruch.
Das Herzstück der Reform sind die Leistungsgruppen mit ihren personellen und technischen Anforderungen. Diese beeinflussen die Krankenhausplanung und Verteilung der Vorhaltebudgets auf Landesebene. Die Strukturierung der Leistungsgruppen und die Zuordnung dieser zu den Stufen haben eine enorme Versorgungs- und Finanzrelevanz. Nach Berechnungen der Regierungskommission sind das rund 35 Milliarden Euro. Daher ist eine sorgfältige Folgekostenabschätzung der Leistungsgruppenstruktur für das Gesamtsystem wie auch auf Hausebene zwingend geboten. Für solche Analysen sind sehr spezifisches Wissen und die Expertise der Systemakteure Grundvoraussetzung. Der DEKV begrüßt, dass bei den Kriterien für die Rückverteilung der pauschal ausgegliederten Vorhaltekosten die Kostenunterschiede zwischen Regionen oder unterschiedlichen Versorgungsstufen berücksichtigt werden sollen.
Um die Versorgungsrelevanz der Vorhaltebudgets gesamtgesellschaftlich zu beurteilen und das Vertrauen der Bevölkerung in die notwendigen Reformen zu fördern, fordern der DEKV und die Diakonie Deutschland die Gründung eines gesellschaftlichen Bündnisses für eine patientenzentrierte und bedarfsorientierte stationäre Versorgung. „Neben den tradierten gesundheitspolitischen Akteuren müssen Kirchen, Gewerkschaften und weitere Sozialverbände einbezogen werden. Das Bündnis muss die tatsächlichen und gefühlten Versorgungsbedarfe der Bürgerinnen und Bürger, ihre Befürchtungen und ihre Sorgen bei einer übergreifenden Krankenhausreform widerspiegeln. Dieses Bündnis muss eng mit dem künftigen Ausschuss zur Festlegung der Leistungsgruppen und Anforderungen verzahnt sein, die fachspezifischen Entscheidungen flankieren und bürgerverständlich übersetzen. Wir fordern für die Zusammenarbeit eine Debattenkultur, die vom gegenseitigen verstehen wollen und verstanden werden geprägt sein sollte. Wenn das von allen Beteiligten beachtet wird, bin ich für den Reformprozess zuversichtlich“, betont Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland.