Spiritual Care ist essentieller Bestandteil der Begleitung, Betreuung und Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer An- und Zugehörigen. Dies gilt auch angesichts der Corona-Pandemie, bei der alle Beteiligten in einem bislang ungeahnten Ausmaß gefordert sind.

Im Folgenden erhalten Sie grundsätzliche Hinweise für Seelsorger*innen.
Traugott Roser, Simon Peng-Keller, Thomas Kammerer, Isolde Karle, Kerstin Lammer, Eckhard Frick
Zitierhinweis: www.covid-spiritualcare.com

 

0. Grundsätzliches

0.1 Spiritual Care ist essentieller Bestandteil der Begleitung, Betreuung und Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen und ihrer An- und Zugehörigen. Dies gilt auch angesichts der Corona-Pandemie, bei der alle Beteiligten in einem bislang ungeahnten Ausmaß gefordert sind.

0.2 Seelsorgende in Krankenhäusern, Einrichtungen der Altenpflege und in Ambulanter Palliativversorgung tragen Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Spiritual Care an, mit und durch alle Beteiligten. Sie repräsentieren die gemeinsame Sorge aller Gesundheitsberufe und sind meist die ersten Ansprechpartner für Spiritual Care. Dabei können sie sich auf die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland berufen.

0.3 Seelsorgende (haupt- und ehrenamtliche) braucht es sowohl am Krankenbett als auch für die An- und Zugehörigen. Auch das Personal in der Krankenversorgung braucht in Krisenzeiten Solidarität und Unterstützung. Wie in der Intensivmedizin und bei besonderen hygienischen Auflagen üblich, muss auch das Seelsorgepersonal mit Schutzkleidung ausgestattet sein und auf einwandfreie Hygiene achten. Spirituelle Begleitung ist auch mit Schutzkleidung möglich.

Alle Seelsorgenden müssen gerade bei starker Inanspruchnahme durch die Situation auf ihre eigene Gesundheit achten. Schutzkleidung ist zum eigenen Wohl, zum Wohl anderer Patient*innen und der eigenen Familien unverzichtbar. Sollten sie über ihren eigenen Infektionsstatus unsicher sein, ist es besser, auf Seelsorgebesuche zu verzichten.

1.  Zur Begleitung und Betreuung von Patient*innen

1.1 Patient*innen, die wegen COVID-19 in stationärer Behandlung sind, leiden in ausgeprägtem Maße unter Isolation, einer ausgeprägten Todesangst und einem rapiden Krankheitsverlauf. Eingeschränkter oder verbotener Besuch von An- und Zugehörigen verstärkt die Belastung und intensiviert die Symptomlast. Seelsorger*innen sollten sich in den behandelnden Teams für die Wahrnehmung der psychosozialen und spirituellen Bedürfnisse und eine entsprechende Betreuung einsetzen.

1.2 Bei allen Patient*innen, insbesondere Sterbenden, ist die Betreuung gemäß ihrer Religionszugehörigkeit und ihren Wünschen und Bedürfnissen zu ermöglichen. Seelsorger*innen und Geistlichen der Religionsgemeinschaften sollte der Zugang möglich gemacht werden, diese sind mit den hygienischen Schutzmaßnahmen und Auflagen vertraut zu machen. Dabei ist der Eigenschutz zu beachten.

1.3 In Absprache mit den psychosozialen Berufsgruppen sollte Begleitung vereinbart werden, um möglichst vielen Betroffenen mitmenschliche Zuwendung zu ermöglichen.

1.4 Bei sterbenden Patient*innen sollte für die Angehörigen die Möglichkeit zum Abschied bestehen. Da sich diese in Isolation befinden und eine direkte Kommunikation durch Berührung und Wort durch die Schutzkleidung nochmals erschwert ist, sollten die Möglichkeiten mit dem Personal der Station abgesprochen werden. Eventuell können Pflegende stellvertretend einen Segen für die Sterbenden sprechen (z.B.: „Der Herr behüte dich und segne dich“). Bei verstorbenen Patient*innen sollte eine Aussegnung / ein Abschiednehmen möglich sein, gegebenenfalls durch digitale Medien („Telechaplaincy“). Die besonderen Umstände im Umgang mit dem Leichnam eines/r infizierten Patienten/in sind zu berücksichtigen. Informieren Sie sich über die Vorgaben vor Ort. Wenn dies unter den gegebenen Umständen nicht im direkten Kontakt möglich ist, sollte den Angehörigen ein symbolisches Abschiedsritual in der Klinikkapelle o. Ä. ermöglicht werden. Zu beachten ist dabei die zulässige Größe von Gruppen.

1.5 Es ist hilfreich, wenn die Seelsorge über ihr spezifisches Angebot für Angehörige und Patient*innen auf geeignete Weise aufmerksam macht (z.B. auf der Website der Institution).

2. Zur Begleitung und Betreuung von An- und Zugehörigen

2.1 Angehörige sollten, besonders in kritischen Situationen, Zugang zu den Patient*innen erhalten. Seelsorgende sollten sich im Gespräch mit den Stations- und Einrichtungsleitungen (einschließlich der Hygienebeauftragten) als ‚Anwalt der Familie‘ für humane Regelungen der Besuchsmöglichkeiten oder ‚Ausnahmen von der Regel‘ einsetzen und evtl. Angehörige begleiten. Sie sollten aber auch die Risiken ansprechen, die ein Besuch für die Familie mit sich bringt. Ebenso sollten Seelsorgende auch die Bedürfnisse des Personals und der Klinik hören.

2.2 Zugehörige werden in Palliative Care wie Angehörige behandelt. Rechtliche Regelungen (Verwandtschaftsgrad und Ehestand) haben nur bedingt Gültigkeit. Wo nötig, sollten Patient*innen entscheiden, welchen Besuch sie unbedingt wünschen.

2.3 Angesichts der Ansteckungsgefahr, der öffentlichen Diskussion und potentiell massenhafter Infektionen werden die An- und Zugehörigen in hohem Maße verunsichert sein. Ängste und Sorgen sind ernst zu nehmen und sollten im Gespräch mit Spiritual Care Begleitern und Seelsorgenden Raum haben.

2.4 Auf die Bedürfnisse von Menschen in akuter Trauer ist Rücksicht zu nehmen. Ein Abschied am Sterbebett sollte, sofern möglich, begleitet werden.

2.5 Die erhöhten Sterberaten und rasanten Krankheitsverläufe sowie die durch die Pandemie bedingte soziale Einschränkung und Verunsicherung sind wichtige Prädiktoren für erschwerte Trauer. Die Möglichkeit, von Sterbenden oder Verstorbenen Abschied nehmen zu können, wirkt sich positiv auf den Trauerverlauf aus.

2.6 Rituale helfen, die eigene Ohnmacht zu überwinden und über die eigenen Grenzen hinauszublicken. Seelsorgende sollten den Familien anbieten, in der Klinikkapelle ihrer Beziehung zum Patienten Ausdruck zu geben und in Kontakt mit dem Trost und der Unterstützung des Glaubens zu kommen. Dabei könnte z.B. eine Kerze angezündet, ein Gebet gesprochen oder in ein Gebetsbuch eingetragen werden.

3. Zur Begleitung von belasteten Mitarbeitenden in den Gesundheitsberufen

3.1 Die Mitarbeiter*innen in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen stehen durch die Corona-Pandemie unter besonderem Stress. Insbesondere bei erhöhten Sterbezahlen und einer Zunahme von Sterbefällen ist mit maximaler Belastung, Überforderung und Angst zu rechnen.

3.2 Seelsorgende und Mitarbeitende der psychosozialen Berufsgruppen können proaktiv auf die Mitarbeitenden zugehen, sie nach Belastungen fragen und Unterstützung anbieten. Dabei ist zu bedenken, dass für das Klinikpersonal das „Funktionieren“ im Vordergrund steht. Daher sind solche Gespräche am ehesten in den Pausen oder nach Dienstende bzw. am Ende der Belastungszeit angebracht. Einzelgespräche und Angebote wie Achtsamkeitsübungen, Gebete und Gedenken an Verstorbene können unterstützend und stabilisierend wirken.

3.3 Mitarbeitende, die durch die dauernde Konfrontation mit existenziellem Leid an ihre Grenzen kommen, müssen die Möglichkeit haben, dies gegenüber ihren Vorgesetzten äußern und Unterstützung in Anspruch nehmen zu können. Auf die Erfahrungen der Diakonie-Care-Kurse zu Existenzieller Kommunikation, Spiritualität und Selbstsorge kann zurückgegriffen werden.

4. Besonderheiten in Pflegeeinrichtungen

4.1 Die Betreuung und Versorgung von Menschen, die sich mit dem neuartigen Corona-Virus infiziert haben oder sich vorsorglich in (Selbst-)Isolation begeben haben, findet nicht nur in Kliniken, sondern auch in Einrichtungen der Altenhilfe und Altenpflege statt.

4.2 Die Einschränkungen der Besuche von außen durch An- und Zugehörige, aber auch untereinander bedeuten für die Bewohner*innen und Pflegebedürftigen zunehmende Isolation und Vereinsamung.

4.3 Seelsorgende in Pflegeeinrichtungen sollten nach Möglichkeiten suchen, im Kontakt zu Bewohner*innen zu bleiben. Schriftliche Kommunikation oder – wo möglich – digitale Medien können genutzt werden für Botschaften, Chat oder andere Kontaktformen.

4.4 Wo Andachten und Gottesdienste nicht möglich sind, sollten geistliche Angebote kreativ über diverse Kommunikationsmedien erfolgen oder auf bestehende Angebote in Rundfunk / Fernsehen gezielt informiert werden.

4.5 Seelsorgende sollten sich gezielt an den Team-Besprechungen der Pflegeeinrichtungen beteiligen und so zu einer ganzheitlichen Betreuung beitragen.

5. Ethische Fragestellungen

5.1 Wie in allen klinischen Einrichtungen kann es zu Entscheidungssituationen unter großem Zeitdruck kommen. Seelsorgende verfügen über ausgewiesene ethische und kommunikative Kompetenz und sollten sich an Besprechungen, insbesondere im Zusammenhang von Therapiezieländerung und Behandlungsabbruch, beteiligen.

5.2 Es kann – wie in Italien – zur Situation kommen, dass zwischen Überlebenschancen von Patient*innen abgewogen wird und vor diesem Hintergrund über entsprechende Behandlungsmaßnahmen entschieden wird („Triage“ im Zusammenhang mit der Allokation von Beatmungsgeräten oder Organersatz). Auch diese Entscheidungsprozesse können spirituell begleitet werden, selbst wenn sie nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Bei schwierigen Behandlungsentscheidungen kann es zudem zum Phänomen von ‚moral distress‘ kommen.

5.3 Behandelnde und Beteiligte werden Fehler machen und sich schuldig fühlen. Eine gute Fehlerkultur und die Bereitschaft von Seelsorgenden, vertraulich über Schuld, Schuldgefühle und Scham zu sprechen, sind hier ein wichtiger, proaktiv einzubringender Beitrag von Seelsorgenden.

Die Autor*innen danken Gian Domenico Borasio für hilfreiche Hinweise

Bitte um Verbesserungsvorschläge und Rückmeldungen
Angesichts der raschen Entwicklung der Pandemie gehen wir davon aus, dass wir diese Handreichung laufend aktualisieren und neuen Verhältnissen anpassen müssen. Wir sind dankbar für Rückmeldungen und Hinweise aller Art!
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