Die Ampel will mehr Tempo bei der Modernisierung der Krankenhauslandschaft: Ziel von Bund, Ländern und Ampelkoalitionären der Bundestagsfraktionen ist es, bis Sommer 2023 gemeinsame Eckpunkte für das sozialpolitische Dekaden-Projekt der Reform der Krankenhausstrukturen und Krankenhausfinanzierung zu erarbeiten.
Die Grundlagen dafür bilden die Veröffentlichung des umfassenden Reformkonzepts durch die Regierungskommission im Dezember 2022. Die Arbeit am Eckpunktekonzept startete im Januar dieses Jahres mit einem Treffen des Bundesgesundheitsministers mit der Bund-Länder-Gruppe.
Die im Reformkonzept angekündigte Umgestaltung der Krankenhausstrukturen ist von drei Ideen getragen: Erstens wird der Wettbewerb zwischen den Trägern weitgehend unterbunden und gestufte Kooperationen zur Patientenversorgung werden vorgegeben. Zweitens sollen mehr Patientinnen und Patienten ambulant, weniger stationär versorgt werden. Die dritte Kernidee ist, in der Krankenhausfinanzierung das flexible Ergebnis der Betriebsmittel so gering wie möglich zu halten“, konstatiert Christoph Radbruch, Vorsitzender des DEKV.
„Würden die Vorschläge der Regierungskommission so umgesetzt, ist mit starken Unwuchten und weitreichenden Verwerfungen in der bestehenden Krankenhauslandschaft zu rechnen. Unerwünschte Nebenwirkungen für die Patientenversorgung könnten die Folge sein. Der Grund: die über Jahre entwickelte und von Bund, Ländern sowie Krankenhausträgern aufgebaute regionale Versorgungsstruktur läuft Gefahr ausgetrocknet und preisgegeben zu werden“, befürchtet der DEKV-Vorsitzende. Er fordert einen transparenten und sozialverträglichen Transformationsprozess für alle Beteiligten.
Die weitreichenden Folgen für die Patient:innenversorgung unterstreicht auch die heute von der DKG vorgestellte Auswirkungsanalyse des Krankenhausreformkonzepts. Die evangelischen Krankenhäuser als verlässliche Partner in der Gestaltung von gesundheitlicher Versorgung fordern die beteiligten Vertreter:innen der Bund-Länder-Gruppe daher auf, drei Änderungen intensiv zu beraten:
1. Entkopplung von Leistungsgruppen und Level
Gesundheitliche Versorgung braucht Flexibilität in ihrer regionalen Ausgestaltung. Nur so gelingt es, den Unterschieden in der Altersstruktur und im Krankheitsgeschehen gerecht zu werden. Dabei hat sich die verantwortungsbewusste Gestaltung stationärer Versorgungsstrukturen durch die Landesgesundheitsministerien und Krankenhausträger bewährt. Sie darf nicht durch rigide bundeseinheitliche Levelanforderungen gefährdet werden.
Aktuell ist das Leistungsmengengerüst bei vielen Häusern so entwickelt, dass neben der Grund- und Regelversorgung bestimmte spezialisierte Leistungen höherer Versorgungsstufen in hoher Qualität und Menge erbracht werden. Damit geht häufig ein deutlich überregionales Einzugsgebiet und eine überregionale fachliche Bedeutung des Hauses einher. Wenn nur mit der Vorhaltung einer Stroke Unit und der Geburtshilfe die Hürde für ein Level-2-Haus genommen werden kann, müssten etablierte spezialisierte Versorgungsstrukturen abgebaut oder durch hohe Investitionen in die vorzuhaltenden Bereiche gesichert werden.
Die Leistungsgruppen mit Strukturvorgaben sind als bundesweites Instrument zur Krankenhausplanung geeignet. Eine Verknüpfung mit Levelanforderungen ohne Berücksichtigung der Behandlungsexpertise sowie etablierter Strukturen gefährdet hingegen die bewährten Versorgungsstrukturen. Konkret könnte die Kopplung von Leistungsgruppen und Leveln zum Beispiel in der Stadt und Städteregion Aachen bedeuten, dass das Luisenhospital, das Marienhospital sowie die Krankenhäuser in Stolberg und Simmerath die Geburtshilfe abgeben müssten. Da das Krankenhaus in Würselen nicht über eine Geburtshilfe verfügt, müssten alle Geburten in der Region am Uniklinikum Aachen (UKA) stattfinden und mehr als 4.000 Geburten an das UKA verlagert werden. Aus medizinischer Sicht bindet dies unnötig hochqualifizierte Kräfte, wenn tausende Normalgeburten an einem Universitätsklinikum stattfinden.
In Frankfurt müsste mit dem Standort Markus Krankenhaus der Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken ein Krankenhaus die Versorgung von Brustkrebspatient:innen aufgeben, da es nicht nur durch die plastische und rekonstruktive Chirurgie sowie die Senologie eine Versorgung in einem Haus anbieten kann, sondern auch mit über 560 Primärfällen über der 95%-Perzentile der Brustzentren in Deutschland liegt. Diese beiden Beispiele verdeutlichen die weitreichenden Auswirkungen auf die Versorgungsqualität der Patient:innen, wenn Leistungsgruppen und Level nicht entkoppelt werden.
„Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass es praktikabler und sachgerechter ist, die Leistungsgruppen von den Leveln zu entkoppeln und damit einen behutsamen Umgestaltungsprozess einzuleiten. Damit würden die langjährig entwickelten Kompetenzzentren/Zentren für qualifizierte und spezialisierte Patientenbehandlungen nicht zerstört. Aus der Größe eines Krankenhauses lässt sich keine Versorgungsqualität ableiten. Über die Anzahl der behandelten Patienten in einer Leistungsgruppe lässt sich jedoch schnell auf die Expertise der Klinik schließen. Zudem müssen die Vorhaltekosten sachgerecht und transparent an die Leistungsgruppen gekoppelt werden und unabhängig von formalen Leveleinteilungen sein“, betont Christoph Radbruch.
2. Kompensation der strukturellen Länderunterfinanzierung durch hohe Eigenmittelinvestitionsquote und Kapitaldienst
Um die unzureichenden Fördermittel der Länder in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren zu kompensieren, haben evangelisch-diakonische Krankenhäuser durch Kredite Investitionen in die Krankenhausstrukturen getätigt. Die Kapitalkosten wurden aus dem variablen Ergebnis der Betriebsmittel bedient. Die aus den Effizienzreserven gewonnenen Überschüsse wurden reinvestiert. Bei der Leistungserbringung wurde darauf geachtet, nur benötigte Leistungen anzubieten und nicht notwendige Kosten zu vermeiden. Somit wurden keine kleinteiligen ineffizienten Strukturen, die dem Versorgungsbedarf nicht entsprechen, aufgebaut.
Wenn durch die Reform künftig verhindert werden soll, dass Investitionen durch Betriebsmittel finanziert werden, muss sichergestellt werden, dass die bisher aufgenommenen Kredite auf der Seite der Investitionskosten berücksichtigt werden. Ohne eine entsprechende Übernahme der Eigenmittelinvestitionen, könnten die betroffenen Häuser, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, insolvenzgefährdet sein.
3. Konzeption Level I integriert als Chance nutzen
Verschiedene Faktoren wie der medizinische Fortschritt, die demografische Entwicklung und der Personalmangel erfordern ein Umdenken in der Versorgung. Sektorenübergreifende Versorgungsmodelle, neue Berufsbilder und Entwicklungschancen wie die akademische Pflege bieten die Möglichkeit, dem steigenden pflegerischen Bedarf in der älter werdenden Bevölkerung zu entsprechen. Hier stellt das Konzept der integrierten Krankenhäuser eine Chance dar, medizinisch wenig komplexe Behandlungen bei Bedarf flächendeckend in einem stationären Setting durchzuführen. So kann innerhalb von Versorgungsketten wohnortnah eine individuelle, an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte Versorgung in Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten gestaltet werden.
„Innerhalb der diakonischen Versorgungskette erfolgt diese integrierte Betreuung bereits und wir könnten uns gut vorstellen, dieses Konzept auszubauen. Außerhalb der diakonischen Strukturen ist dies jedoch durch die Undurchlässigkeit der ambulanten und stationären Versorgung jeweils in den anderen Bereich hinein gegenwärtig kaum möglich“, so Christoph Radbruch.
Ziel der Krankenhausstrukturreform muss aus Sicht des DEKV sein, eine wohnortnahe Grundversorgung sowie eine breite spezialisierte Versorgung sicherzustellen und die Patient:innenströme sinnvoll und nach bestehenden Kompetenzen auf die Krankenhäuser zu verteilen. Dazu ist es notwendig, Standorte zu sichern und durch neue Versorgungskonzepte den Bedürfnissen der Bevölkerung zu entsprechen. Daher müssen die genannten drei Punkte geprüft und vor diesem Hintergrund diskutiert werden.