„Posttraumatische Belastungsstörungen bei Geflüchteten müssen behandelt werden!“
Beim Fachgespräch „Medizinische Versorgung Geflüchteter aus der Ukraine“ in der Sitzung des Bundestagsausschusses für Gesundheit am 6. April 2022 unterstrich Dr. Markus Horneber, Vorstandsmitglied des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV) und Vorstandsvorsitzender der AGAPLESION gAG, die Bedeutung einer unkomplizierten humanitären medizinischen Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine: „Die evangelischen Krankenhäuser und die Diakonie Deutschland haben als erste zivilgesellschaftliche Hilfe für behandlungsbedürftige Geflüchtete und für Kriegsverletzte aus der Ukraine im Rahmen der Extrameile Diakonie 100 medizinische Behandlungsplätze bereitgestellt. Damit allen Geflüchteten aus der Ukraine die notwendige medizinische Hilfe zugutekommt, muss aus Sicht des DEKV mindestens eine Versorgung auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) auch für Menschen gegeben sein, die sich nicht registrieren lassen können, beispielsweise weil sie ihre Ausweisdokumente auf der Flucht verloren haben. Daher sollte jetzt das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, die Meldepflicht für Menschen ohne Papiere zu überarbeiten, umgesetzt werden.“
Medizinische Versorgung auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes reicht nicht aus
Das AsylbLG ermöglicht die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln. Auch die Versorgung von Schwangeren sowie notwendige Impfungen sind darüber abgedeckt. Alle erforderlichen Leistungen werden nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet und sind extrabudgetär. In medizinisch notwendigen Einzelfällen kann auf Basis der Sonderregelung des § 6 Abs. 2 AsylbLG auch eine Psychotherapie erbracht werden, sofern zuvor die Kostenübernahme geklärt ist. Gleiches gilt für Hilfsmittel, die vorab zu genehmigen sind. Zuständig für die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ist jeweils die Kommune, in der sich die betroffenen Menschen aufhalten beziehungsweise untergebracht sind. Da die ukrainischen Geflüchteten gemäß der EU-Richtlinie über den temporären Schutz bis 23. Mai 2022 kein Asylverfahren durchlaufen müssen und bis zu drei Jahre einen speziellen Schutz erhalten, ist es notwendig, den Leistungsanspruch mindestens im Rahmen von § 4 und § 6 Abs. 1 und 2 AsylbLG sicherzustellen. Diese Leistungen erfassen jedoch nicht den vollständigen Bedarf der Geflüchteten: Gerade ältere Menschen leiden oft an chronischen Erkrankungen und sind multimorbide. Darüber hinaus besteht ein Bedarf an psychiatrischer, psychologischer und traumatologischer Versorgung sowie an Rehabilitation und Anschlussheilbehandlungen. Daher sollte der Anspruch aus Sicht des DEKV befristet um diese Leistungen erweitert werden.
Der DEKV unterbreitete den Parlamentariern im Fachgespräch zudem folgende Handlungsempfehlung zur Umsetzung und Finanzierung: Für Geflüchtete sollte ein zeitlich befristeter, anonymer Krankenschein für ambulante und stationäre Leistungen eingeführt werden, wenn sie nicht über einen Behandlungsschein oder eine Krankenkassenchipkarte nach Registrierung verfügen. Bei einer stationären Versorgung besteht für den Sozialdienst des Krankenhauses die Pflicht, Patientinnen und Patienten über die Bedeutung einer Registrierung aufzuklären.
Psychologische Hilfe für Geflüchtete besonders wichtig
„Die Lage für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen verändert sich täglich. Die Vertreibung aus der Heimat und die Trennung von Familien ist eine unvorstellbare psychische Belastung. Die schrecklichen Bilder aus Butscha zeigen: Die traumatischen Erfahrungen vieler Geflüchteter sind kaum vorstellbar. Deswegen müssen wir uns alle zusammen dafür einsetzen, eine umfassende gesundheitliche Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen“, erklärt Bischof Dr. Christian Stäblein, der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD).
„Um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, brauchen Kinder, Frauen und ältere Menschen psychologische und therapeutische Nothilfe. Nur so kann es gelingen, die Erfahrungen und Erlebnisse von Flucht, Lebensbedrohung und Vergewaltigung zu verarbeiten. Deren Folgen, beispielsweise posttraumatische Belastungsstörungen bei Geflüchteten, müssen behandelt werden“, erläutert Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV).